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VR
MEDICUS
APOTHEKERKAMMER WESTFALEN-LIPPE.
Peter Schöning, Sprecher der Steinfurter Apothekerschaft,
erklärt, warum dieser Schritt nötig war, und zieht eine Zwi-
schenbilanz. „Mit unserem neuen System haben wir den ver-
änderten Gegebenheiten im ärztlichen Nacht- und Notdienst
Rechnung getragen“, so Schöning, „mit der Reform wurden
die 95 historisch gewachsenen Notdienstbezirke durch ein
IT-gestütztes Gesamtsystem ersetzt, das alle Apotheken in
Westfalen-Lippe berücksichtigt.“ Mit diesem Systemwechsel
hatte die Apothekerkammer auf die ärztliche Notfallreform
reagiert, die mit einer deutlichen Reduzierung der Zahl der
ärztlichen Notfallpraxen (von 360 auf inzwischen nur noch
64)
einherging. Aufgrund der dadurch steigenden Durch-
schnittsentfernungen zum ärztlichen Notdienst rückten auch
die Wege zur Notdienstapotheke automatisch stärker in den
Fokus. „Unser neues System bietet den Vorteil, dass der Blick
auf die nächste Notdienstapotheke nicht mehr kreisbezogen
erfolgt, sondern standortbezogen aus der Vogelperspektive
in alle Himmelsrichtungen“, erläutert Peter Schöning.
Mit dem neuen System ist es zudem leichter, die Auswirkun-
gen von Apothekenschließungen auf eine flächendeckende
Versorgung im Nacht- und Notdienst abzufedern. Die ge-
betsmühlenartig vorgebrachten Forderungen nach zentralen
Notfall-Apotheken stoßen an eine rechtliche Grenze: Sie sind
mit dem Apothekengesetz nicht vereinbar. Vielmehr muss
die Apothekerkammer alle Apotheken im Landesteil Westfa-
len-Lippe gleichmäßig zum Nacht- und Notdienst heranzie-
hen. Bis Ende 2011 gab es eine ungleiche Verteilung der Not-
dienstbelastung zwischen Großstadt, Mittelzentren und Land
(
in etwa im Verhältnis 1 : 2 : 3). Die Apotheken in den Groß-
städten hatten zumeist wenige Dienste (mit höherer Fre-
quenz), Apotheken auf dem Lande viele Dienste mit niedriger
Frequenz zu leisten (zum Teil bis zu 73 Notdienste pro Jahr).
In Westfalen-Lippe gibt es derzeit 2.065 Apotheken (das ist
die niedrigste Zahl seit 1983) und gut 16.000 Arztpraxen. In
der Nacht dreht sich dieses Verhältnis: Es sind durchschnittlich
gut 60 Notfallpraxen geöffnet, aber mehr als 80 Apotheken
dienstbereit – rund um die Uhr. Bei der medial immer wieder
vorgebrachten Forderung nach mehr Notdiensten verweist
Schöning neben dem zahlenmäßigen Arztpraxis-Apothe-
ken-Verhältnis auch auf die tatsächliche Inanspruchnahme, so
Schöning: „Eine Evaluation der Apothekerkammer hat es an
den Tag gebracht: Die Notdienstapotheken in Westfalen-Lip-
pe zählen pro Jahr etwa 400.000 Patienten. Mit anderen
Worten: Jeder Bürger sucht den apothekerlichen Notdienst
im Schnitt alle 21 Jahre einmal auf.“ Außerdem kommen etwa
60%
der Besucher im Nacht- und Notdienst ganz ohne Re-
zept – meist sind es Eltern, die für ihre Kinder zum Beispiel
Fieberzäpfchen, Hustensaft oder Arzneimittel gegen Durch-
fall benötigen.
Die durchschnittlichen Entfernungen haben sich durch unsere
Reform nicht verändert, weil wir die Apotheken jetzt durch
unseren Notdienstradar besser verteilen können. Sie liegen
derzeit (jeweils vom Ortsmittelpunkt gemessen) bei:
2,24
km – Großstädte (NRW-Richtwert: max. 11 km)
5,84
km – Städte 20.000–80.000 EW (Richtwert: 16 km)
8,64
km – ländlicher Raum (Richtwert: 25 km)
Jede Apotheke leistet in Westfalen-Lippe durchschnittlich 14
bis 15 Notdienste. Die Spreizung wurde durch die Reform
minimiert, allerdings gibt es nach wie vor Unterschiede: Der
höchste Wert (in einigen Regionen des Sauerlandes) zeigt
sich bei 40 Notdiensten pro Jahr (= alle neun Tage), die ge-
ringste Belastung liegt in einigen Großstädten im Ruhrgebiet
bei sieben bis acht Diensten pro Jahr. Das neue System wird
permanent angepasst, da wir jedes Jahr die Zahlen von ca.
10.000
Notdiensten statistisch auswerten und in die jeweils
neue Notdienstplanung einbinden. Ein Ergebnis der Auswer-
tung lautete: In der Woche sind inzwischen deutlich weniger
Patienten in der Notdienstapotheke als früher (das hat auch
mit verlängerten Öffnungszeiten zu tun, im Schnitt weniger
als zehn Kontakte je Nachtschicht). Am Sonntag sind es durch-
aus mehr (das wiederum hat auch damit zu tun, dass manche
Menschen in der Woche schlichtweg keine Zeit für Arzt- und
Apothekenbesuche mehr haben). Daher haben wir in Städ-
ten mit um die 80.000 Einwohner wie Castrop-Rauxel, Marl,
Gladbeck, Hamm und Co. das Netz an Sonntagen wieder
dichter gespannt.
60%
der Patienten kommen nachts ohne Rezept
Seit rund zweieinhalb Jahres gibt es das neue Apotheken-Notdienstsystem – zu Jahresbeginn 2012 hat
die Apothekerkammer Westfalen-Lippe den „Neuen Notdienst“ an den Start gebracht.